Alle mir nach!

- Die Wunschkiste - Neue Geschichten von Levi 01


Erinnerungen

 

Dort stand sie nun, die Wunschkiste, in Levis Kinderzimmer in der neuen Wohnung nahe bei seinen Großeltern West. Von dem Haus seiner Großeltern war es nur ein Katzensprung, und seine Mama und sein Onkel Sebastian hatten die Kiste sofort am ersten Tag ihrer Ankunft dort aus dem Keller geholt und hierhergeschafft, in Levis Kinderzimmer. Seit Levi laufen konnte stand sie im Keller der Großeltern nicht mehr sicher genug. Dort unten gab es allerlei Gerümpel und im Nebenraum Werkzeuge, an denen man sich verletzen konnte. Auch die vielen unentdeckten Ecken und Winkel verbargen vielleicht unentdeckte dunkle Gestalten. Levi durfte nie alleine in den Keller zu der Kiste, und so war es gekommen, dass die Kiste zu ihm kam, fern von allen Gefahren, in sein neues Kinderzimmer.

 

Etwas Besseres konnte Levi gar nicht passieren. Hier hatte er mehr Platz als im Keller und konnte sich so richtig austoben, ungeachtet der potentiellen Gefahren.

 

Als Erstes kippte er die Kiste um und leerte sie bis auf den Grund auf dem Fußboden aus. Die letzten, noch nicht entdeckten Geheimnisse aus der Kindheit seiner Mutter und seines Onkels, breiteten sich vor ihm auf dem Teppichboden aus und ließen Levi staunen. So vieles hatte er bei seinen bisherigen Besuchen im Keller noch nicht entdeckt.

 

Die großen Saurier waren nicht zu übersehen, allen voran der Triceratops, der Brontosaurus und der furchterregende Tyrannosaurus Rex. Levi erinnerte sich an seine Flucht auf den hohen Baum im Saurierland und das schreckliche Ende, …

 

na ja! Unter dem Rex schaute das lange Maul des Ichthyosaurus hervor, ein Fischsaurier, mit dem er viele Abenteuer unter Wasser erlebt hatte. Wenn Levi daran zurückdachte, lief ihm jetzt noch ein Schauer den Rücken hinunter. Auf einmal hielt er das Buch von Popov und dem Kleiber in seinen Händen und ihm liefen Tränen die Wangen hinunter. Popov und Kleiber, seine beiden Freunde, die ihm das Fliegen beigebracht hatten! Die vielen Flugabenteuer über seiner Heimat kamen ihm in den Sinn. Und als Levi an das Schloss in den Wolken denken musste und an seine Prinzessin Levittchen, da konnte er einen wahren Tränenfluss nicht mehr stoppen. Er schluchzte und vergrub sein Gesicht in dem langen Mantel einer Barbiepuppe seiner Mama. Welche weiteren Gegenstände würde er noch entdecken, die seine Erinnerungen wachrütteln würden?

 

Levi legte sich bäuchlings auf den Fußboden und schaute in das Cockpit eines futuristischen Transformers. Dieses Fahrzeug gehörte seinem Onkel, und es gab noch mehr davon. Einen Transformer konnte man mit wenigen Griffen in einen furchtbaren Kämpfer aus der Galaxis verwandeln. Levis Blick fiel durch die Frontscheibe über dem Armaturenbrett, und ein Lichtblitz tauchte die nähere Umgebung in gleißendes Licht.

 

Mama hatte die Tür zum Kinderzimmer geöffnet, und die Küchenlampe blendete Levi. Er musste blinzeln und hielt sich die Hand vor die Augen. War etwa der Transformer zum Leben erwacht?

 

„Was ist hier denn für ein Durcheinander?“, hörte er Mamas Stimme. „Das sieht ja aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen!“

 

„Mama, du?“, stammelte Levi. „Ich dachte, der Transformer …“

 

„Nix da, Transformer“, war Mamas Reaktion, „sieh zu, dass du alles wieder in die Kiste räumst – und zwar schnell! Es ist schon spät!“

 

Hatte Mama etwa noch gesagt „Wäre der ganze Plunder nur im Keller geblieben!“, oder hatte Levi sich das nur eingebildet? Das konnte doch nun wirklich nicht ihre ehrliche Meinung sein. Anscheinend war Mama noch ein wenig genervt von dem Umzug letzte Woche.

 

Die nähere Umgebung

 

Levi war eigentlich schon zu groß für sein Bobby Car. Manchmal benutzte er es aber dennoch, dann spannte er seinen Anhänger dahinter und lud notwendige Dinge auf. Er brauchte für seine Touren in die nähere Umgebung die Schippe und das Sieb aus dem Sandkasten, seine Becherlupe und ein kleines Notfallpäckchen, gefüllt mit seiner Kinderschere, einem Bindfaden und zwei Pflaster. Alleine durfte er sich jedoch nicht weit vom Haus entfernen. Wenn aber Henning, Erik, Rieke und Thea bei ihm waren, drückten seine Eltern schon mal ein Auge zu.

 

Heute war wieder so ein Tag. Ein kleines Büchlein in seiner Wunschkiste hatte seine Neugier geweckt. Es zeigte Bilder von ganz kleinen Lebewesen in einem Feucht-Biotop. Levi kannte ein Feucht-Biotop ganz in der Nähe, es befand sich im Trimmwald gleich hinter dem großen Feld, welches an ihre Siedlung grenzte. Eigentlich handelte es sich dabei nur um einen breiten Graben, der sich nach einem Regenschauer mit Wasser füllte. Aber auch bei Trockenheit war das Erdreich immer ein bisschen feucht, daher der Name Feuchtbiotop. Ob sich dort die kleinen Lebewesen tummelten, die Levi in dem Büchlein entdeckt hatte, das wusste er nicht. Aber genau das gab es zu erkunden!


Das Feuchtbiotop

 

Henning und Erik, die beiden Brüder aus der Nachbarschaft, waren schnell überzeugt, eine Expedition, wie sie den Ausflug nannten, ließen sie sich nicht entgehen. Die Nachbarsmädchen Rieke und Thea waren nirgends zu sehen. Aber eigentlich war eine Expedition auch eher etwas für richtige Männer.
Die notwendigen Expeditions-Fahrzeuge bestanden aus Levis Bobby Car mit Anhänger und dem riesigen Kettcar für zwei Kinder seiner Freunde Henning und Erik. Die beiden Brüder luden ihre Schippen, Siebe und Lupen in Levis Anhänger, banden Levis Bobby Car hinter das Kettcar, und schon konnte die Expedition beginnen.

 

Die Fahrt ging aus der Siedlung hinaus, an dem großen Feld und an Papas Bienenstöcken hinter den Büschen entlang in Richtung Trimmwald. Henning legte sich ins Zeug und trat mit all seiner Kraft in die Pedale. Schon nach kurzer Zeit waren sie am Eingang zum Trimmwald angelangt. Hier legten sie erst einmal eine kurze Verschnaufpause ein, denn Henning hatte sich etwas verausgabt. Erik und Levi waren noch etwas zu klein für das große Kettcar. Sie konnten Henning nicht ablösen, weil ihre Beine zu kurz waren, um genügend Kraft auf die Pedale zu bringen.

 

„Was suchen wir denn eigentlich genau“, fragte Erik in die Stille hinein.

 

„Ja“, schnaufte Henning, „wir müssen schließlich noch durch den halben Wald, bis wir an dem Wasserloch sind. Was gibt es denn da so Besonderes?“

 

Levi tat geheimnisvoll: „Wartet ab! Aber das ist nicht nur ein altes Wasserloch, wie du sagst, sondern ein Feuchtbiotop. Ich habe gelesen, dass es in einem Feuchtbiotop die tollsten Kleinlebewesen zu finden gibt.“

 

„Haha“, prustete Henning los, „du und gelesen. Du bist ja noch nicht mal in der Schule!“

 

„Nun gut“, gab Levi kleinlaut zu, „ich habe mir Bilder dazu angeguckt, und mein Opa hat mir den Text vorgelesen. Daher weiß ich das alles. Man muss nicht unbedingt in der Schule sein, um etwas zu lernen!“

 

„Das kann ich auch!“, meldete sich Erik zu Wort. „Ich schaue mir Bilder an und lasse mir vorlesen!“

 

Warum tust du es dann nicht?“, fragte Levi beleidigt.

 

„Hört auf zu streiten!“ Henning übernahm das Kommando. „Wir können weiter. Es ist noch ein ganz schönes Stück bis zu diesem Wasser…, ich wollte sagen Feuchtbiotop!“

 

„Aber eigentlich dürfen wir nicht in den Trimmwald“, meldete sich Erik wieder zu Wort. „Mama hat gesagt, nach dem letzten großen Sturm sind viele Bäume umgeknickt, und Äste können einem immer noch auf den Kopf fallen!“

 

Henning meinte: „Oma ist gestern auch wieder mit Piper in den Wald Gassi gegangen, dann wird es wohl nicht mehr so schlimm sein.“

 

„Ihr habt beide recht!“, meinte Levi. „Der Sturm hat ganz schön viel Chaos angerichtet. Bei uns sind auch ein paar Dachpfannen weggeflogen. Wenn die einer an den Kopf gekriegt hätte! Na, dann prost Mahlzeit! Aber wenn die Erwachsenen sich schon wieder in den Wald trauen, können wir das auch. Und noch etwas: Kennt ihr das Buch Oh wie schön ist Panama?“

 

Die beiden Brüder nickten zwar, wussten aber nicht, worauf Levi hinauswollte.

 

„Na“, fuhr Levi fort, „an einer Stelle in der Geschichte sagt der Tiger zum kleinen Bären: Wenn man einen Freund hat, braucht man sich vor nichts zu fürchten! Und von uns hat doch jeder mindestens zwei Freunde.“

 

Das leuchtete ein.
Sie setzten sich wieder in Bewegung, fuhren jetzt aber etwas langsamer um die rutschigen Biegungen und über die holperigen Baumwurzeln hinweg. Andernfalls hätten sie vielleicht noch einen Unfall verursacht, wenn Levis Bobby Car umgekippt wäre.

 

Es dauerte nicht lange, und sie hatten das Feuchtbiotop erreicht. Henning parkte das Gespann rechts am Wegesrand und schaute sich zu Levi um.

 

„Wir sind da, am Feuchtbiotop. Aber hier ist nichts, ich sehe nichts!“

 

„Wartet ab!“, entgegnete Levi. „Ich habe doch von Kleinlebewesen gesprochen, die sieht man nicht auf den ersten Blick. Wir müssen näher an den Graben und unsere Schippen, Siebe und Lupen mitnehmen.“

 

Rechts von ihnen, am Waldesrand, lag ein etwa einen Meter breiter und sechs Meter langer Graben, der mit Wasser gefüllt war, aber sehr schlammig aussah. Aus dem Wasser heraus ragten abgebrochene Zweige und Äste und ließen das Ganze sehr unzugänglich aussehen. Abgestorbene Blätter gestalteten den Anblick nicht einladender.

 

„Hier werden wir also unsere Forschungsarbeiten beginnen!“, begann Levi und forderte seine Freunde auf, ihre Gerätschaften aufzunehmen.
„Auf geht´s, hinein ins Vergnügen!“

 

Mit diesen Worten war er auch schon bei seinem Anhänger, nahm seine Schippe, das Sieb und die Becherlupe und sprang zum Rand des kleinen Gewässers. Henning und Erik taten es ihm gleich und standen kurz darauf neben Levi mit den Schuhsohlen im Wasser. Sie hatten leider keine Stiefel mitgenommen, aber es musste auch so gehen! Levi stach seine Schippe in den Schlamm, entleerte sie auf sein Sieb und schüttelte kräftig. Das volle Sieb leerte sich sichtlich, und es blieb nur noch eine dünne Schicht übrig, die Levi in seine Becherlupe schüttete. Dann verschloss er den Becher, hielt die Lupe an sein Auge und staunte.

 

„Kommt schnell her!“, rief Levi aufgeregt. „In meinem Becher bewegt sich etwas!“


Und richtig, in Levis Becher zuckten gleich mehrere, kleine wurmartige Tierchen rhythmisch hin und her. Auch Henning und Erik betrachteten gespannt den Fund.

 

„Das sind Würmer“, meinte Erik, „die haben wir auch im Garten. Die werden noch viel größer!“

 

Henning ärgert seinen kleinen Bruder: „Quatsch, du weißt doch gar nichts. Die sehen ganz anders aus. Das werden niemals Regenwürmer!“


„Richtig“, erklärt Levi, „das sind keine Regenwürmer. Das sind Mückenlarven. Das hat mir mein Opa vorgelesen und mir Bilder dazu im Buch gezeigt. Es gibt unterschiedliche Mückenlarven. Diese hier sind eine wasserbewohnende Art. Sie nehmen Luft über eine Art Schnorchel, ein hohles Röhrchen, am Hinterleibende auf, an dem das Tier unter der Oberfläche des Wassers hängt. Opa hat mir auch erklärt, dass man vorsichtig sein muss, da diese Mückenlarven Krankheiten übertragen können, wie Ziegenpeter oder Windpocken.“

 

„Was du nicht alles weißt“, gibt Henning zu, „aber lasst uns weitersuchen, vielleicht finden wir noch mehr!“

 

Und so kam es denn auch, dass Erik plötzlich laut ausrief: „Ich habe was gefangen, etwas Großes, dafür brauchen wir die Lupen gar nicht!“

 

Tatsächlich zappelte in Eriks Sieb ein etwa drei Zentimeter großer Käfer, der bei näherer Betrachtung richtig furchterregend aussah.

 

„Ein Gelbrandkäfer!“, rief Levi aus. „Welch ein Glücksfall. Der kann im Wasser schwimmen und auch in der Luft fliegen. Pass auf, dass er nicht abhaut!“

 

Erik schüttelte ihn sofort in seine Becherlupe, schob den Deckel darüber und sagte: „Der sieht aus wie ein Monster. Vorne am Maul hat der Käfer richtige Zangen.“

 

„Die Zangen heißen Mandibeln“, erklärte Levi, „damit packt er sich seine Lieblingsnahrung, nämlich Kaulquappen, hält sie fest und saugt sie aus. Aber auch Insektenlarven und kleine, kranke Fische schnappt er sich. Ich habe gehört, dass sie
sogar ihre Artgenossen auffressen. Schon die große Larve des Gelbrandkäfers ist ein gefährlicher Räuber für viele Kleinlebewesen. Sie schlüpfen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, das hat mit der Wasserqualität und dem Nahrungsvorrat zu tun.“

 

„Dann gibt es hier doch bestimmt auch Kaulquappen. Lasst uns weitersuchen!“ Und schon macht Henning sich auf die Suche.

 

„Was mache ich denn jetzt mit dem Gelbrandkäfer?“, will Erik wissen.

 

Levi sagt: „Schau ihn dir noch einmal genau an, dann lasse ihn wieder frei! Zu Hause können wir dann im Buch nachschauen. Und wenn ihr Lust habt, dann können wir uns ja ein Expeditions-Tagebuch anlegen, mit Bildern und Geschichten.“

 

„Au ja!“, riefen die beiden Brüder wie aus einem Mund. „Die Erwachsenen helfen uns bestimmt dabei!“

 

Jetzt brach bei den drei Freunden der Forscherdrang ungebremst aus. Selbst nasse Füße und schmutzige Hosenbeine hielten sie nicht davon ab, immer tiefer in das Feuchtbiotop vorzudringen.

 

An einer vom Sonnenlicht beschienenen Stelle sahen sie kleine Wesen über die Wasseroberfläche flitzen. Langgestreckte, schlanke Körper stelzten wie auf Spinnenbeinen auf dem
Wasser hin und her.

 

„Das sind Wasserläufer!“, erklärte Levi seinen Freunden. „Die können wegen der Oberflächenspannung des Wassers an der Oberfläche laufen, leben in Gruppen und fressen Insekten, die ins Wasser fallen. Sie können sehr schnell sein und auch weit springen.“

 

„Die leben auch bei uns auf dem Teich im Garten. Ich habe sie schon oft beobachtet“, sagte Erik. „Wenn die Fische kommen, dann verduften sie ganz schnell!“

 

Und dann fanden sie sie endlich, ganz am anderen Ende des Grabens – Kaulquappen. Erik war es, der sie schließlich fand. Er stand mit seinen Stiefeln so tief im Wasser, dass sie langsam vollliefen, aber er schien es nicht zu bemerken. Mit seiner kleinen Schaufel tauchte er immer wieder in einen großen, schwimmenden Teppich von bestimmt mehr als hundert Kaulquappen. Er versuchte ein paar der schwarzen, gallertartigen Kugeln zu sich heranzuziehen, um sie näher betrachten zu können. Seine beiden Freunde kamen näher und sahen, dass sich schon einige Tierchen aus ihrer Umhüllung geschält hatten. Jeweils eine schwarze Kugel mit einem kleinen Schwanzfortsatz bewegte sich schlängelnd und zuckelnd durch das Wasser vorwärts. Die Kinder waren begeistert! Sie schaufelten ein paar Exemplare in ihre Becherlupen und beobachteten die
wundersamen Tiere.

 

„Iieh!“, rief Erik kreischend. „Ich habe ja nasse Füße, meine Stiefel sind vollgelaufen!“

 

Henning und Levi stellte ihre Becherlupen vorsichtig ab und halfen Erik aus dem Wasser. Er setzte sich auf das Kettcar, zog seine Stiefel aus und schüttete das Wasser in den Graben zurück.

 

„Ich glaube, das war es dann mit unserer Expedition“, meinte Levi. „Wenn du nicht sofort trockene und warme Socken anziehst, wirst du dich erkälten.“

 

Missmutig lehnte Erik sich auf dem zweiten Sitz des Kettcars zurück und schmollte. Levi hatte ja recht – aber …!
Henning und Levi leerten die Becherlupen mit den Kaulquappen zurück ins Wasser und verstauten alle mitgebrachten Gerätschaften in den Anhängen. Dann stiegen auch sie auf ihre Gefährte und machten sich auf den Rückweg.

 

„Jetzt seid ihr mir böse, weil ich schuld daran bin, dass wir unsere Expedition abbrechen müssen!“, maulte Erik.

 

„Überhaupt nicht!“, rief Levi von seinem Bobby Car aus nach vorne zu seinen beiden Freunden. „Schaut mal durch die Bäume zum Feld! Die Sonne geht schon unter, wir hätten sowieso nach Hause gemusst.“

 

Und richtig! Über all den aufregenden Entdeckungen hatten sie doch tatsächlich die Zeit vergessen. Henning trat in die Pedale, und nach kurzer Zeit, dieses Mal ohne Pause, kamen sie auf ihrer Straße an. Sie verabredeten sich noch für den nächsten Tag und wollten dann ihre neuen Expeditionen besprechen.

 

Expeditions-Tagebuch

 

Der nächste Tag bescherte den drei Freunden eine traurige Überraschung, es regnete in Strömen! An eine weitere Expedition war unter diesen Bedingungen nicht zu Denken.

 

Levi lag auf seinem Spielteppich und hatte Langeweile. Regenwetter, keine Expedition mit seinen Freunden! Was sollte er nur machen? Lustlos kramte er in seiner Wunschkiste herum und stieß schließlich auf das Sachbuch über Kleinlebewesen in Wald und Feld. Er blätterte ziellos darin herum, als sein Blick auf das Kapitel Leben in Feuchtbiotopen fiel. Da kam ihm eine grandiose Idee!

 

„Mama, ich muss unbedingt Opa anrufen!“, rief Levi in Richtung Küche, in der Mama den Geschirrspüler leerräumte. „Darf ich?“

 

„Eigentlich könntest du auch gerade rüber laufen, das ist doch nicht weit“, gab seine Mutter zur Antwort, „und ein bisschen Bewegung würde dir guttun.“

 

„Ach, bitte“, bettelte Levi weiter, „es ist ganz wichtig!“

 

Seine Mutter gab natürlich nach, und Levi stürmte zum Telefon. Nach dreimaligem Rufton war Opa schon am Apparat. Noch bevor er auch nur seinen Namen sagen konnte, legte Levi aufgeregt los:

 

„Opa, hast du Zeit? Ich brauche unbedingt deine Hilfe!“

 

„Was ist denn passiert?“, fragte sein Opa neugierig. „Du bist ja ganz aufgeregt.“

 

„Ich habe eine tolle Idee!“, platzte Levi heraus. „Henning, Erik und ich wollten doch heute wieder eine Expedition starten, aber bei dem Regenwetter ist das nicht möglich. Da hatte ich gedacht, dass wir so etwas wie ein Expeditions-Tagebuch erstellen könnten, mit Geschichten, Bildern und so weiter!“

 

„Prima Idee“, meinte Opa, „und wie genau stellst du dir das vor?“

 

„Na“, erklärte Levi, „wir treffen uns bei dir, legen den Spielteppich im Wohnzimmer aus, schreiben und malen, und du unterstützt uns dabei an deinem Computer. Blöcke und Stifte bringen wir mit!“

 

Levi hatte es gewusst, sein Opa konnte ihm kaum etwas ausschlagen. Und so kam es, dass dreißig Minuten später die drei Freunde Levi, Henning und Erik bei Levis Opa im Wohnzimmer auf dem ausgebreiteten Spielteppich lagen und ihre, bei der letzten Expedition gesammelten Eindrücke zu Papier brachten. Opa unterstützte sie dabei, indem er Texte und Bilder am Computer aufrief und mit den Kindern über die Ergebnisse sprach.

 

Nach etwa einer Stunde angestrengtem Arbeiten und Erzählen ging plötzlich die Wohnzimmertür auf, und Levis Oma fragte in die im Moment herrschende Stille hinein:

 

„Möchte vielleicht jemand der Herren ein erfrischendes Getränk?“

 

Mit den Händen trug sie ein Tablett mit vier Gläsern, einer Karaffe mit Wasser und einer Flasche Himbeersirup. Gemeinsames Aufatmen erfüllte das Wohnzimmer. Und als Oma das Tablett auf dem Tisch abstellte, saßen drei erschöpfte Freunde bereits auf den Stühlen. Auch Opa gesellte sich freudestrahlend zu ihnen, und gemeinsam genossen sie das erfrischende Nass, mit und ohne Himbeersirup.

 

Opa stellte sein Glas ab, ließ einen unhöflichen Rülpser hören und sagte:

 

„Ich muss sagen, die Arbeit mit euch hat mir richtig Spaß gemacht. Die Zeit verging für mich sogar schneller, als eine Doppelstunde Sachunterricht in der Schule.“

 

„Du hast uns aber auch toll geholfen“, lobte Levi seinen Opa. „Aber wie geht es jetzt weiter?“

 

Henning und Erik schauten Opa ebenfalls gespannt an.

 

„Ich habe mir das so gedacht“, begann Opa. „Ihr habt fantastische Bilder von den Kleinlebewesen gezeichnet! Ich bin froh, dass ihr sie nicht abgepaust habt. Eure Zeichnungen gefallen mir viel besser. Weiter habe ich mir Notizen über eure Erzählungen am Computer gemacht und werde sie ins Reine schreiben. Eure Zeichnungen scanne ich ein und skaliere sie auf die Größe, die wir für unser Expeditions-Tagebuch brauchen.“

 

Keiner der drei Freunde sagte einen Ton. Sie schauten Levis Opa mit offenen Mündern und großen Augen an.

 

Levis Oma hatte ebenfalls zugehört und meldete sich jetzt zu Wort:

 

„Ich sehe, dass eure Begeisterung keine Grenzen kennt. Ich bin auf das Ergebnis sehr gespannt.“

 

Mit diesen Worten räumte sie die Gläser zusammen und verließ mit einem Lächeln das Wohnzimmer.

 

Opa hatte anscheinend das weiter Vorgehen verständlich erklärt, denn die Jungen standen auf und räumten ihre Sachen zusammen. Vorsichtig rissen sie ihre gemalten Bilder von den Blöcken und legten sie auf den Schreibtisch vor den Computer.

 

„Ich habe vielleicht Hunger“, stöhnte Erik, „und kaputt bin ich auch!“

 

„So ist es richtig!“, sagte Opa. „Nach einer erfolgreichen Arbeit darf man ruhig rechtschaffen hungrig und müde sein. Wenn wir unser Tagebuch zusammenstellen können, meldet Levi sich bei euch. Lasst es euch gut schmecken und grüßt schön zu Hause. Ich bringe euch und Levi noch bis zur Straßenecke.“

 

Auf der Straße tanzten drei übermütige Jungen um Levis Opa herum. Ihre Müdigkeit schien wie weggeblasen, so glücklich waren sie.

 

Von Fröschen und Fischen

 

Zwei ganze Tage hielt das Regenwetter an. Die drei Freunde Levi, Henning und Erik verabredeten sich hin und wieder zum Spielen, ließen dann aber recht halbherzig ihre Autos über den Spieleteppich sausen, bauten einen Bauernhof mit Duplo und Lego; so richtige Spielfreude wollte aber nicht aufkommen. Immer wieder mussten sie an ihre Exkursion und das Tagebuch denken. Dann lehnten sie sich zurück und schwärmten von neuen kleinen Abenteuern.

 

„Ich glaube, ich ziehe mir meinen Regenanorak an und fahre noch einmal zum Feuchtbiotop. Mal sehen, was die Tiere machen.“ Levi sprang auf und rannte zur Garderobe.

 

„Halt, mein Freund, nun mal langsam mit den jungen Pferden!“

 

Oma hielt Levi am Ärmel fest und meinte:

 

„Und morgen hast du wieder eine dicke Erkältung, dann könnt ihr eure nächste Expedition auf unbestimmte Zeit verschieben!“

 

Missmutig drehte Levi sich um, ging zurück ins Wohnzimmer und kniete sich zu seinen Freunden auf den Spielteppich.

 

Erik starrte Levi an, rückte näher an ihn heran und fragte leise:

 

„Welche jungen Pferde hatte deine Oma denn gemeint? Gibt es da etwas, das ich noch nicht weiß?“

 

„Boah, eh“, stöhnte Henning und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Du verstehst aber auch gar nichts! Das mit den jungen Pferden sagt man nur so, wenn man sagen will, dass man nicht übereilt handeln soll, sondern zuerst überlegen.“

 

„Ach so!“, schmollte Erik, drehte sich um und ließ ein Auto in ein Legohaus krachen.

 

Gerade in diesem Moment klopfte jemand an das Wohnzimmerfenster. Es war Levis Opa, der auf der Terrasse stand und aufgeregt zum kleinen Fischteich zeigte. Dann winkte er die Kinder heraus.

 

Schon auf dem Weg nach draußen, ihre Jacken hatten sie schnell übergeworfen, sah Levi, dass sein Opa seine große Kamera auf einem Stativ neben den Teich gestellt hatte. Außer Atem kamen die Kinder am Teich an und warteten gespannt, als Opa ihnen mit dem Finger an den Lippen bedeutete, leise zu sein.

 

Geheimnisvoll flüsterte er:

 

„Ich glaube, dass es nicht nur in eurem Feuchtbiotop so von Lebewesen wimmelt. Auch in unserem kleinen Teich tut sich etwas, und ich meine damit nicht unsere Kois!“

 

Die drei Augenpaare der Freunde richteten sich synchron zum Teich, und ihre Blicke wanderten in jeden Winkel. Doch nichts war zu sehen.

 

Opa, der die Reaktion der Kinder bemerkt hatte, meinte:

„Ja, so einfach machen es die Tierchen uns nicht, wir müssen schon geduldiger sein! Aber ihr habt ja schon Erfahrungen auf eurer ersten Expedition sammeln können, ihr seid schon richtige Naturforscher!“

 

Stolz warf Henning sich in die Brust.

„Und was erforschen wir jetzt?“, wollte er wissen.

 

„Also“, fuhr Opa flüsternd fort, „zuerst einmal müssen Forscher geduldig und leise sein. Wir knien uns jetzt auf die Matten, die ich am Teichrand ausgelegt habe und beobachten. Alles Weitere ergibt sich wie von selbst.“

 

Erst jetzt bemerkte auch Levi die Matten, die gegen die Nässe und Kälte des Bodens am Teichrande lagen und ließ sich darauf nieder.

 

Mehr oder weniger geduldig beobachteten die drei Freunde die Wasseroberfläche. Als sich nach einer Minute noch nichts bewegt hatte, stöhnte Erik gelangweilt auf.

 

„Pst“, machte Henning, „du willst doch Forscher werden, also sei still!“

 

„Du, Opa“, flüsterte Levi, „eigentlich dürfen wir doch nicht so nahe an den Teich. Das ist ohne Umzäunung zu gefährlich!“

 

„Da hast du recht, mein Junge“, erklärte Opa, „aber jetzt bin ich ja dabei. Ich passe schon auf euch auf!“

 

„Da, da!“, rief Erik ganz aufgeregt. „Blasen – jetzt sind sie wieder weg!“

 

Alle Kinder starrten aufgeregt auf die Stelle im Teich, auf die Erik gezeigt hatte. Und da waren sie wieder! Kleine Luftblasen stiegen an einem Schilfkolben empor und zerplatzten an der Oberfläche.

 

Und dann geschah das Unvorstellbare worauf alle gewartet hatten, nach den zerplatzenden Luftblasen schob sich ganz langsam eine grüne Nase und dann ein paar große, hervorstehende Augen durch die Wasseroberfläche. Der vorsichtig beobachtende Kopf eines grünen Teichfrosches schob sich immer weiter aus dem Wasser.

 

„Boah, ein Frosch!“, rief Erik freudig erregt und klatschte vor Aufregung in die Hände. Schwupps – der Frosch war sofort wieder verschwunden!

 

„Manno, jetzt hast du ihn verscheucht“, tadelte Henning seinen Bruder.

 

„Ruhig, Jungs“, beruhigte Opa, „der kommt wieder. Streitet euch nicht, sondern beobachtet wieder ganz leise!“

 

Henning warf seinem Bruder einen Blick zu, der alles Mögliche bedeuten konnte.

 

Opa sollte recht behalten, die Blasen und kurz darauf auch der ganze Frosch erschienen wieder und setzte sich sogar auf ein nahes Teichrosenblatt in die Sonne. Opa drückte sofort auf seinen Fernauslöser und hatte ein paar Fotos geschossen. Die Augen der Kinder strahlten.

 

„Hey, was macht ihr denn da?“

 

Eine laute Stimme schallte vom Gartentor zu ihnen herüber. Thea und ihre Schwester Rieke, die beiden Mädchen aus der Nachbarschaft, zogen sich am Törchen empor und winkten zu ihnen herüber. Die Jungen drehten sich um und gaben mit den Armen Zeichen, dass die Mädchen ruhig sein sollten. Aber da war es schon zu spät, der Frosch war sofort wieder abgetaucht und ließ nur noch eine sich kringelnde Wasseroberfläche zurück.

 

„Jetzt habt ihr unser Forschungsobjekt verscheucht, einen ganz tollen Teichfrosch!“, rief Levi. „Macht, dass ihr da wegkommt!“

 

„Na, na“, beschwichtigte Levis Opa, „alle Kinder sollten die Natur erforschen. Ladet die Mädchen doch zu eurer Gartenexpedition ein. Wir können bestimmt noch Helfer für unser Tagebuch brauchen!“

 

Etwas widerwilligt schloss Levi den Mädchen das Törchen auf und ließ sie herein. Gemeinsam legten sie sich wieder auf die Lauer und hatten noch viele Gelegenheiten, die Teichfrösche zu beobachten.

 

Plötzlich setzte sich ein großer, grüner Frosch an den Teichrand, blies seine Backen dick auf und ließ zwei fast durchsichtige Blasen erscheinen.

 

„Guckt mal“, rief Rieke ganz aufgeregt, „der hat ein Kaugummi verschluckt und jetzt macht er Blasen!“

 

Alle Kinder mussten lachen, und natürlich war de Frosch sofort im Wasser verschwunden. Aber das machte nichts, sie hatten schon so viele interessante Dinge beobachten können!

 

„Da, da“, auch Levi war ganz aufgeregt, „der eine Frosch trägt einen anderen Huckepack!“

 

„Das ist ein Froschpärchen“, erklärte Opa, „ein Männchen und ein Weibchen. Die paaren sich, daraus entstehen später der Froschlaich und dann die Kaulquappen, die ihr ja schon beobachtet habt.“

 

Alle fünf Kinder schauten Levis Opa mit großen Augen und bedeutungsvoll nickend an.

Opa machte viele Fotos, die die Kinder sofort auf seiner Kamera begutachten konnten.

 

Als alle es nach einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr aushielten, setzten sie sich gemeinsam mit Oma und Opa an den Tisch auf der Terrasse und besprachen ihre Beobachtungen. Kakao und Mineralwasser wurden zur Erfrischung gereicht, und die Kinder versprachen, auch von den heutigen Beobachtungen kleine Zeichnungen für ihr Tagebuch anzufertigen. Opas Fotos sollten ihnen eine große Hilfe sein.

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