- Showdown in Longbow (Kurz-Western)
Der Tag legte sich mit bleierner Hitze auf sein Gemüt und ließ jeglichen Tatendrang auf null zurückgehen. Mit letzter Kraft legte er seinen rechten Fuß auf das Geländer der Veranda, kippte den Stuhl, auf dem er saß, auf die hinteren Beine und bewegte sich rhythmisch vor und zurück. Sein Stetson war weit ins Gesicht gezogen und hielt die Sonnenstrahlen davon ab, sich durch die halb geschlossenen Augenlider in sein Hirn zu bohren. Lustlos kaute er auf einer längst erloschenen Zigarre herum und wünschte sich mit aller Inbrunst seines Herzens den Sonnenuntergang herbei. Wie sollte er den Tag bis dahin überstehen?
Unwirsch sprang er auf und spuckte angeekelt den Kalten Zigarrenstumpf über das Geländer hinweg in den Staub der menschenleeren Main Street. Mit einer ruckartigen Bewegung drehte er sich um, riss dabei mit seinem langen Mantel den Stuhl zu Boden und stieß mit dem rechten Stiefel die Schwingtür zum Saloon auf. Mit einem Schlag wurde ihm die Kühle und die Dunkelheit dieses Raumes bewusst. Er hätte sich gleich nach seiner Ankunft an die Theke stellen und zwei oder drei Whiskey in sich hineinkippen sollen. Aber wie wäre er empfangen worden, nach allem was war? Nun gut, was soll’s, jetzt war er hier, und seine Augen mussten sich erst einmal an die Dunkelheit gewöhnen.
Was er nach einiger Zeit sah, machte ihm auch nicht gerade Mut. Wie konnte er nur in diese schäbige Spelunke geraten? Aber es war ja das einzige Lokal in dieser gottverlassenen Gegend.
Ungefähr sechs verwahrloste Gestalten lungerten herum. Vier davon saßen an einem großen runden Tisch und spielten anscheinend Black Jack, zwei weitere lehnten an der Theke und starrten vor sich hin. Jeder hatte ein Glas und eine Flasche vor sich stehen. Sich zu betrinken schien die einzige Abwechslung zu sein, die einem hier geboten wurde. Bei seinem Erscheinen schienen die Bewegungen der Anwesenden sich zu verlangsamen. Ihre Augen verfolgten jeden seiner Schritte. Missmutig schlenderte er zur Theke und baute sich etwas abseits von den beiden anderen Cowboys auf. Er bestellte einen Whiskey, der ihm wortlos und auch nicht gerade freundlich von einem typischen Barmann mit Weste und aufgekrempelten Hemdsärmeln serviert wurde. Mit einem Schluck stürzte er das Getränk in sich hinein und spürte, wie der billige Fusel sich brennend den Weg durch seine Kehle suchte. Als er endlich seinen Bestimmungspunkt erreicht hatte, spürte er, wie sich eine Feuersbrunst durch seine Magenwände zu fressen schien und alle Viren und Bakterien, die sich dort in den letzten Wochen und Monaten angesammelt hatten, abtötete. Ungewollt musste er sich derart schütteln, dass Staub aus seinen Mantelschößen stieb und seine Stiefel in eine kleine Wolke hüllte. Der Cowboy, der ihm am nächsten stand, drehte langsam den Kopf in seine Richtung, und ein hämisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. Das war zu viel des Guten, Schadenfreude war Joe schon immer zuwider. Seine stahlblauen Augen bohrten sich in sein Gegenüber und schienen mit übermächtiger Kraft in dessen tiefstes Innere zu blicken. Jedenfalls machte das hämische Grinsen im nächste Moment einem angstvollen Erstaunen Platz. Eiseskälte legte sich mit festem Griff um das Herz des Cowboys, und mit einem Schlag wusste jeder hier im Raum wer zurückgekommen war – Joe!
Der sich legende Rauch gab allmählich den Blick auf die grausige Szenerie frei. Einer der vier Kartenspieler lag verdreht über den Tisch gebeugt, als wollte er mit seinem Körper erneut die Karten mischen. Doch das sollte ihm nie wieder gelingen. Die drei anderen waren mit ihren Stühlen unweigerlich gegen die rückwärtige Wand geschleudert worden und sahen nun aus wie kümmerliche, leblose und vergessene Marionetten eines Puppenspielers. Den Gestalten an der Theke war es nicht besser ergangen. Ohne dass sie auch nur den Hauch einer Chance auf Gegenwehr gehabt hätten, waren die zwei von den bellenden Feuerstößen eines Colt Single Action Army Kaliber .45 dahingerafft worden. Der Barmann hinter der Theke hatte im Fallen einen Großteil seiner billigen Schnapsgläser und Flaschen mit sich auf den Boden gerissen, wo sie nun eine traurige Umrandung seiner leblosen Hülle bildeten.
Joe war wieder da – und dieses war erst der Beginn einer langen Geschichte, die sich als „Die Blutige“ in die Köpfe der Bewohner von Longbow schreiben sollte.
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